3 Minuten Lesezeit 22. August 2024

Bundesgerichtsurteil

Steuerfreie Rückzahlung von verdeckten Kapitaleinlagen

Praxisänderung aufgrund BGE

Das Bundesgericht hatte im Urteil BGE 149 II 158 vom 17. März 2023 die Frage zu entscheiden, ob anlässlich der Liquidation einer Gesellschaft der in der Schweiz wohnhaften Anteilsinhaberin nicht nur die offenen  Kapitaleinlagen, sondern auch die verdeckten Kapitaleinlagen einkommenssteuerfrei zurückbezahlt werden können. Gemäss Sachverhalt wurde die verdeckte Kapitaleinlage geleistet, indem die Anteilsinhaberin bestimmte auf einer im Ausland gelegenen Liegenschaft lastende Hypotheken der Gesellschaft über eine private Schuldübernahme ablöste, ohne dass die Anteilsinhaberin von der Gesellschaft dafür entschädigt wurde.
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der Begriff der «Rückzahlung von Einlagen» nach dem Wortlaut der Gesetzessystematik und der Entstehungsgeschichte von Art. 20 Abs. 3 DBG nicht so auszulegen ist, dass ausgeschüttete Kapitaleinlagen bei der Gesellschaft verbucht und offen ausgewiesen sein müssen, damit diese einkommenssteuerfrei zurückbezahlt werden können.

Geplante Umsetzung der ESTV

Im Kreisschreiben Nr. 29c, Ziff. 2.1 und 3.2 wird weiterhin geregelt, dass Kapitaleinlagereserven immer zu verbuchen und offen auszuweisen sind, damit eine steuerfreie Rückzahlung erfolgen kann. Die ESTV wird den anderslautenden Bundesgerichtsentscheid jedoch in die Praxis umsetzen.
In ihrem Kommentar zum BGE gibt die ESTV einige Hinweise darauf, wie sie die neue Rechtsprechung umsetzen wird. Sie stellt in diesem Zusammenhang klar, dass mit der gesetzlichen Einführung der steuerfreien Rückzahlung von Kapitaleinlagen nicht die Absicht bestand, dass im Ergebnis Unterbesteuerungen resultieren sollen. Eine Unterbesteuerung könnte z. B. anlässlich einer Transponierung ohne Agiolösung oder einer Umstrukturierung entstehen, also Vorgänge, bei welchen (ausnahmsweise) einkommenssteuerfreie unterpreisliche Einlagen von Vermögenswerten in die Gesellschaft erfolgten. In diesen Fällen soll die Rückzahlung der verdeckten Kapitaleinlage weiterhin aus steuersystematischen Gründen steuerbar bleiben und Art. 20 Abs. 3 DBG nicht anwendbar sein.
Die Tragweite des Entscheids wird ausserdem deutlich dadurch beschränkt, dass die steuerfreie Rückzahlung der verdeckten Kapitaleinlagen aus Sicht der ESTV aus Praktikabilitätsgründen auf zivilrechtliche Liquidationsfälle beschränkt bleibt.
Der Nachweis, dass eine Liquidationsdividende die Rückzahlung einer verdeckten Kapitaleinlage darstellt oder dass eine verdeckte Kapitaleinlage durch Umstrukturierung auf eine andere Kapitalgesellschaft übertragen wurde, obliegt nach den allgemeinen Beweisregeln den steuerpflichtigen Anteilsinhaberinnen und -inhabern.
Für bereits erfolgte verdeckte Kapitaleinlagen kann z. B. die anlässlich der Einlage erfolgte Ablieferung der Emissionsabgabe als Indiz dienen. Für den Nachweis von zukünftigen verdeckten Kapitaleinlagen ist jedoch das Einholen einer verbindlichen Steuerauskunft mit Darlegung des gesamten Sachverhalts empfehlenswert.

Verrechnungssteuer

Das Bundesgerichtsurteil hat keine Auswirkung auf die Verrechnungssteuerpraxis, so dass in Bezug auf die Verrechnungssteuer das Verbuchungserfordernis gemäss Art. 5 Abs. 1bis VStG unverändert anwendbar bleibt.
Die ausschüttende Gesellschaft hat deshalb weiterhin nur auf der Rückzahlung von offen ausgewiesenen Kapitaleinlagereserven keine Verrechnungssteuern zurückzubehalten und abzuführen.
Inländische natürliche Personen können die auf der Rückzahlung verdeckter Kapitaleinlagen abgeführte Verrechnungssteuer mittels Deklaration im Wertschriftenverzeichnis zurückfordern. Der Bruttoertrag wird in Spalte A (Ertrag mit VST) deklariert, und in Spalte B (Ertrag ohne VST) wird die nachgewiesene verdeckte Kapitaleinlage als Minusbetrag aufgeführt.

Quelle: EXPERT Info 2/2024