Generalversammlung: Form
In der Praxis besteht das Bedürfnis schon länger, die Generalversammlung (GV) von der physischen Präsenz der Aktionäre und Aktionärinnen sowie des Verwaltungsrats zu entkoppeln. Mit Inkrafttreten des neuen Aktienrechts am 1. Januar 2023 wurde diesem Anliegen nun auf gesetzlicher Ebene nachgekommen: Neu kann die Generalversammlung in physischer Form, umfassend virtuell oder aber in einer Mischform abgehalten werden (vgl. dazu Art. 701a ff OR). Für die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten und die teilweise erforderlichen statutarischen Voraussetzungen verweisen wir gerne auf den EXPERT INFO, Ausgabe 2/2022. Unklar ist, ob bei einer hybriden GV mit Tagungsort künftig eine physische Anwesenheit der Revisionsstelle bei einer ordentlichen Revision vor Ort (Art. 731 OR) noch nötig ist oder eine virtuelle Teilnahme ausreicht.
Verwaltungsrat: Amtsdauer
Der Verwaltungsrat einer Gesellschaft wird grundsätzlich an der ordentlichen Generalversammlung gewählt. Diese findet jährlich statt, und zwar innerhalb von sechs Monaten nach Ende des Geschäftsjahrs. Die Sechsmonatsfrist ist im Obligationenrecht statuiert. In der Praxis kommt es jedoch vor, dass das erste Semester des neuen Geschäftsjahrs verstreicht, ohne dass die ordentliche Generalversammlung stattgefunden hätte, oder aber, dass die Generalversammlung durchgeführt wurde, die Wahlen des Verwaltungsrats jedoch nicht traktandiert waren. Was bedeutet dies für das Verwaltungsratsmandat? Besteht dieses nach wie vor oder hat es mit Ablauf der Sechsmonatsfrist automatisch geendet? Das Gesetz lässt dies offen und in der Lehre gibt es unterschiedliche Ansichten dazu. Mit dem Urteil 4A_469/2021 vom 3. Dezember 2021 hat das Bundesgericht nun einen Grundsatzentscheid gefällt:
Das Bundesgericht stellt klar, dass das Amt des Verwaltungsrats mit Ablauf des sechsten Monats nach Schluss des betreffen den Geschäftsjahrs endet, wenn keine Generalversammlung durchgeführt oder die Wahl des Verwaltungsrats nicht traktandiert wurde. Es verneint also eine stillschweigende Verlängerung des Mandats. Gutgläubige Dritte dürfen sich laut Bundesgericht jedoch auf den Handelsregistereintrag verlassen. Ausserdem verweist das Bundesgericht ausdrücklich auf die faktische Organschaft: Agiert ein Verwaltungsratsmitglied nach Ablauf seiner Amtsdauer weiter, gilt es als «faktisches Organ» und unterliegt den aktienrechtlichen Sorgfalts- und Treuepflichten sowie der Organhaftung. Die Interessen der Gesellschaft, der Aktionäre und Aktionärinnen sowie der Gesellschaftsgläubiger/innen bleiben folglich gewahrt.
Dieser Bundesgerichtsentscheid führt zu Rechtsunsicherheit: Die (verspätete) Einberufung durch den nicht gewählten Verwaltungsrat und die gefassten Beschlüsse gelten grundsätzlich als nichtig. In einem älteren Entscheid erachtete das Bundesgericht den faktischen Verwaltungsrat je doch in der Pflicht, eine Generalversammlung einzuberufen.
Es wird sich weisen müssen, ob der neu vorliegende Grundsatzentscheid des Bundesgerichts lediglich im Kontext der Verhinderung des Machtmissbrauchs zu sehen ist (ein Verwaltungsrat/eine Verwaltungsrätin, der oder die die Durchführung der Generalversammlung systematisch verzögert, um damit seine bzw. ihre Abwahl zu verhindern) oder auch im Falle von sachlichen, im Sinne der Gesellschaft liegenden Gründen, die eine verspätete Einberufung der Generalversammlung bedingen können. Viele KMU haben nur einen oder wenige Aktionäre oder Aktionärinnen, die jederzeit eine Universalversammlung (Art. 701 OR) einberufen und durchführen können. Ist die Amtszeit des VR ausgelaufen, können die Aktionäre und Aktionärinnen die GV alleine gültig einberufen, durchführen und die VR neu wählen, die Jahresrechnung abnehmen etc. Gesellschaften sind jedenfalls gut beraten, wenn sie die Wahlen des Verwaltungsrats innerhalb der Sechsmonatsfrist fix einplanen und vollziehen.
Revisionsstelle Amtsdauer
Über die Amtsdauer der Revisionsstelle äussert sich das Gesetz im Artikel 730a Absatz 1 OR klar und deutlich: «Ihr Amt endet mit der Abnahme der letzten Jahresrechnung». Mit anderen Worten: Wird die ordentliche Generalversammlung nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist durchgeführt, verlängert sich das Mandat der Revisionsstelle ohne Weiteres bis zur Abnahme der Jahresrechnung.