3 Minuten Lesezeit 10. Juni 2024
EXPERT INFO 1/2024
EXPERT INFO 1/2024
  • Zwischendividende bei Verlustvortrag Ende Jahr
  • Abschaffung Eigenmietwert: Update
  • Geldwäscherei-Bekämpfung
  • Neue OR-Bestimmungen
Herunterladen - pdf (1.9 MB)

Neues Aktienrecht

Anpassung der Bestimmungen zu Kapitalverlust und Überschuldung

Mit Inkrafttreten des revidierten Obligationenrechts (OR) per 1. Januar 2023 haben sich diverse Änderungen ergeben. Darunter fallen u. a. Anpassungen bezüglich der Überwachung der Liquidität und der Beurteilung der Eigenkapitalsituation. Der vorliegende Artikel gibt einen zusammenfassenden Überblick über die relevanten Bereiche.

Überwachung der Liquidität

Art. 725 Abs. 1 OR führt neu explizit auf, dass der Verwaltungsrat die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft überwachen muss. Sollte festgestellt werden, dass die Gesellschaft zahlungsunfähig werden könnte, ergreift der Verwaltungsrat Massnahmen gemäss  Art. 725 Abs. 2 OR zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit. Art. 725 Abs. 3 OR führt aus, dass der Verwaltungsrat mit der gebotenen Eile zu handeln habe. Für die Revisionsstelle sind dagegen weder bei der drohenden noch bei der tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit direkte Handlungspflichten vorgesehen.

Hälftiger Kapitalverlust

Der Kapitalverlust ist in Art. 725a OR geregelt. Zur Ermittlung des hälftigen Kapitalverlusts wird eine Vergleichsrechnung erstellt. Für diese Berechnung werden die Aktiven abzüglich Verbindlichkeiten (bilanzielles Eigenkapital) dem geschützten Kapital gegenübergestellt. Ergibt sich aus dieser Vergleichsrechnung, dass das bilanzielle Eigenkapital kleiner ist als die Hälfte des geschützten Eigenkapitals, liegt ein hälftiger Kapitalverlust im Sinne von Art. 725a Abs. 1 OR vor. Das geschützte Eigenkapital umfasst die Summe aus dem im Handelsregister eingetragenen nominellen Aktien- und Partizipationskapital, der gesetzlichen Kapital- und Gewinnreserven (Art. 671 Abs. 1 und Art. 672 Abs. 1 OR) sowie den vollen Betrag der gesetzlichen Gewinnreserven für eigene Kapitalanteile im Konzern (Art. 659b Abs. 2 OR) und aus Aufwertungen (Art. 725c Abs. 1 OR). Die gesetzlichen Gewinnreserven werden dabei im Betrag von zusammen maximal 50 Prozent (bei Holdinggesellschaften 20 Prozent) des im Handelsregister eingetragenen Aktien- und Partizipationskapitals berücksichtigt. Der Fokus auf das geschützte Kapital führt zu einer Erleichterung im Vergleich zur bisherigen Berechnung gemäss altem Aktienrecht, welche auf die ausgewiesenen Buchwerte abstützte. Insgesamt tritt der hälftige Kapitalverlust damit später ein.

Revision trotz Opting-out

Liegt ein hälftiger Kapitalverlust vor, muss auch bei einem bestehenden Opting-out die Ernennung einer zugelassenen Revisorin resp. eines zugelassenen Revisors durch den Verwaltungsrat erfolgen, welche/welcher die letzte Jahresrechnung vor der Genehmigung durch die Generalversammlung zu prüfen hat. Die Prüfung erfolgt im Auftragsverhältnis nach dem Schweizer Standard zur eingeschränkten Revision (SER). Das heisst, für die zugelassene Revisorin resp. den zugelassenen Revisor ergeben sich keine weiteren Anzeige- oder Handlungspflichten wie z. B. die Beurteilung allfälliger Anträge an die Generalversammlung (wie Anträge über die Verrechnung des Bilanzverlusts oder über die Verwendung von Reserven). Adressat des Berichts der zugelassenen Revisorin resp. des zugelassenen Revisors ist in diesen Fällen der Verwaltungsrat und nicht die Generalversammlung. Die Bestimmungen zum hälftigen Kapitalverlust kommen auch dann zur Anwendung, wenn die Gesellschaft überschuldet ist und in ausreichender Höhe Rangrücktritte vorliegen. Bei einer Überschuldung nach Art. 725b OR ist immer auch der Tatbestand eines Kapitalverlusts nach Art. 725a OR erfüllt. Das heisst, die Deckung der Überschuldung durch Rangrücktritte befreit nicht von der Pflicht, den Jahresabschluss nach Art. 725a OR durch eine zugelassene Revisorin resp. einen zugelassenen Revisor eingeschränkt prüfen zu lassen. Rangrücktritte befreien lediglich von der Benachrichtigung des Gerichts im Falle einer Überschuldung.

Quelle: EXPERT Info 1/2024